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Was gute Bildung so wertlos macht!

Schulen und Hochschulen alleine werden für gute Bildung nicht mehr reichen.

Die Vorstellung, dass wir gute Bildung gestalten und kontrollieren können ist vorbei. Das werden wir weder über die Institutionen der Schulen und Hochschulen schaffen, schon gar nicht über die Ministerien. Daten, Informationen und Eindrücke sind überall und können schon längst nicht mehr kanalisiert werden. Dazu ist das Tempo und die Menge der Informationen viel zu groß.

Bildung zu gestalten und zu kontrollieren ist ein tiefe industrielle Idee. Für die in dieser Erzählung genormten Prozesse und Strukturen macht es Sinn Menschen „zu schaffen“ die in dieses Ideal hinein passen. Sprich: wenn einer mit BWL-Wissen aus dem System heraus fällt, macht es Sinn jemanden mit möglichst identischem Wissen, mit einem kleinen aktuellen Update, schnell nachzuschieben. Sich ständig wiederholende Abläufe, eine recht langsame Innovationskurve und große zentrale Strukturen sind optimal für solch ein industrielles System und die dazu gehörige Bildung. Auch Noten machen darin Sinn, findet die Bewertung des Menschen doch immer in Bezug auf die mögliche System-Leistung für die Industrialisierung statt: „Du schaffst Wert, also bist Du was wert!“ Wir haben diese Idee der Industrialisierung so tief in unserer Gesellschaft verinnerlicht, dass wir sogar schon denken Industrialisierung ist gleich Gesellschaft. Ein meiner Meinung nach großes Missverständnis, denn Gesellschaft ist so viel mehr als ein in Werte zu packendes industrielles System.

Jetzt leben wir ohnehin in der Digitalität. Die großen zentralen Strukturen, die noch auf der Idee der Dampfmaschine basieren, fallen zunehmend auseinander. Wir erkennen, dass wir Städte in der heutigen Form nicht mehr brauchen und wir haben schmerzhaft gelernt, dass Informationen überall liegen. Schmerzhaft, weil wir wenigen Unternehmen gestattet haben diese Informationen zu sammeln, zu Daten zu transformieren und sie uns dann wieder zurück zu verkaufen. Das sind klassische Anfängerfehler im Umgang mit den Möglichkeiten einer neuen Epoche: wir erkennen zwar die neue Technologie, setzen sie aber im altbekannten Umfeld um. Wir vergessen die Strukturen zu ändern und sie den neuen möglichen Lebensmustern anzupassen.

Wir können also nicht ernsthaft glauben, dass wir mit einer industriellen Idee von Bildung irgendetwas in der Digitalität erreichen können! Wir steuern gerade in eine Welt, in der sich rund 80% unserer alltäglichen Strukturen ändern werden. Schon heute merken wir einen kulturellen Wandel – gerade bei den jüngeren Zielgruppen X, Y und Z. Sie glauben dem industriellen Modell nicht mehr. Mehr als Hälfte der unter 45-jährigen möchte nicht mehr für ein Unternehmen arbeiten, dass keinen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. Die industrielle Gewinnmaximierung interessiert diese Menschen nicht mehr. Sie fragen immer auch nach dem gesellschaftlichen Nutzen. Sämtliche Statussymbole und Verhaltensmuster werden in Frage gestellt. Auch haben diese Zielgruppen längst begriffen, dass weder für Ihre Altersvorsorge, Ihre Rente, Pflege, was auch immer gesorgt ist – schlichtweg, weil sie spüren, dass die bestehenden Systeme in der neuen Ordnung der Digitalität nicht mehr funktionieren.

So wie wir uns damals mit Beginn der Industrialisierung in Gewerkschaften organisiert haben um für Sozialgesetze zur Arbeit an der Dampfmaschine zu kämpfen, wie wir Versicherungen erfunden haben, das Bankgeld und sogar Marken, da wir nicht mehr sahen wie auf Nachbars Feld die Produkte wuchsen, so suchen gerade die jungen Zielgruppen heute danach wie sie die Möglichkeiten der neuen Welt mit Ihrem Alltag vernetzen müssen – in allen Lebensbereichen. 

Ihr Wissen ziehen sie längst auch aus unterschiedlichen Quellen. Eine Schüler:in zieh heute schon mehr als 50% ihres Wissens aus anderen Quellen als der Schule. Das ist nicht nur das Internet. Praktisches Lernen im Leben ist genauso wichtig. Und „eigene Lehrer:innen“ finden diese Zielgruppen überall. Sie nennen sie Mentori:innen. Und dabei geht es nicht einmal um die reine Wissensaneignung, sondern den Austausch darüber wie man Zukunft überhaupt gestalten kann. Das dazu notwendige Wissen kommt aus unterschiedlichsten Datenquellen. Und richtig: sogenannten künstliche Intelligenz wie ChatGPT hilft dieses Wissen zusammen zu stellen. Denn bei den neuen Datenmaschinen handelt es sich um sogenannte Large-Language Modelle. Die können halt alle Sprachen: also nicht nur Englisch, Deutsch etc. sondern auch DNA, verschiedene genetische Codes, Sensoranalysen, Blutwertdaten, WiFi-Protokolle, Wirtschaftsdaten etc. und geben sie einfach in der Sprache aus, die dem Anwender gerade am nächsten ist.

Es geht also überhaupt nicht mehr um Wissensvermittlung in der Digitalität. Es geht auch nicht mehr darum, dass wir Wissen im Kopf speichern müssen. Ja klar, einige Grundlagen natürlich, aber Wissen an sich hat sich verändert. Es gibt immer weniger allgemeines Wissen, dafür umso mehr Situation bezogenes Wissen. Das braucht man vielleicht nur ein mal, vielleicht öfter, dann macht man sich einen Marker oder merkt es sich. Aber das ist von Mensch zu Mensch vollkommen unterschiedlich. Wir leben einfach nicht mehr in einem großen zentralen System, sondern in einem System aus polyzentralen Einheiten, die sich nach Bedarf und sehr flexibel miteinander vernetzen können. Dabei wissen die jungen Zielgruppen, dass sie selbst nicht alles wissen können und müssen. Viel wichtiger ist ihnen dafür eine klare Idee. Die macht vielleicht 20 Prozent aus. Das weitere notwendige Wissen lassen sie sich aktuell vom Leben liefern, weil sie erkannt haben, dass hier viel mehr aktuelle Informationen lagern, als sie selbst vorhersehen könnten. Warum sollten sie sich also damit beschäftigen in immer gleichen Strukturen Wissen anzueignen.

Die Welt ist voller Informationen. Technologien wie ChatGPT (und viele andere) helfen uns diese Informationen zu nutzen. Die Deutungshoheit dürfen wir nicht einzelnen Unternehmen überlassen – das ist industrielles Denken und Struktur. Vielmehr müssen wir ein Bildungssystem – nein, der Begriff ist schon falsch – einen Bildungsgedanken formulieren, der Menschen dazu befähigt ihren Zugang zu Informationen einzuschätzen, sich selber Ziele zu stecken, kollaborativ mit anderen zu vernetzen. Der heutige Beruf der/des Lehrer:in ist damit in vielen Teilen der persönlichen Entwicklung perdu. Wir brauchen Sie um Grundlagen zu vermitteln. Später braucht es zunehmend Mentor:innen die individuelle Möglichkeiten und Erkenntnisse fördern und helfen sie umzusetzen. 

Damit lernen wir wieder mehr vom Leben, von den Möglichkeiten die sich uns bieten, statt das wir versuchen (wie in der Industrialisierung) bestimmte Situationen zu erschaffen in denen wir unser Erlerntes zur Geltung bringen zu können. Wir brauchen selber eine aktive Idee davon was wir wollen und dann die Fähigkeit die zur Umsetzung notwendigen Menschen, Mittel, Strukturen im Leben zu erkennen, zu moderieren und zu modellieren. 

„Gute Bildung“ wie wir sie heute definieren ist in der Digitalität komplett wertlos. Ebenso die Strukturen dahinter die sich dafür einsetzen, dass sie so bleibt wie wir sie kennen. Einfach, weil es zukünftig keine Industrialisierung mehr gibt. Aber: es gibt gerade bei den Hochschulen (weniger bei den Universitäten) viele neue Ideen wie Bildung aussehen könnte. Auch einige Schulen sind schon weiter. Am weitesten sind die, die sich überlegen: was braucht es für Kompetenzen um in der Digitalität erfolgreich sein Leben gestalten zu können. Das hat NICHTS mit iPads in Schulen zu tun. Dieses Wissen können wir meinetwegen auch auf Schiefertafeln vermitteln. Die Technologie brauchen wir erst, wenn wir eine Idee haben, was wir eigentlich wollen vom Leben, was uns wichtig ist. Dann kann sie uns helfen Gedanken zu vernetzen und Informationen in Form von Daten bereit zu stellen. Was wir heute noch als Bildungsinstitutionen kennen werden zukünftig Mentoren sein. Lernen werden wir überall, dabei helfen werden uns Schulen und Hochschulen – aber eher als Räume in denen wir die verschiedenen Eindrücke diskutieren und viele individuelle Wege finden. Denn es gibt nicht nur „die eine“ Zukunft. Das ist sehr individuell und kann sich jederzeit neu vernetzen. Schon deshalb müssen wir Bildung nicht nur neu denken und umsetzen, sondern die ganze Idee von Bildung in einen neuen gesellschaftlichen Kontext stellen.