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Werden wir zukünftig noch Innenstädte und Einzelhandel haben?


Soeben ist die aktuelle Verbraucherstudie des bevh (Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V.) zum E-Commerce erschienen. Sie bietet keine wirklichen Überraschungen, außer das, nach langem langem Anlauf, nun endlich der Lebensmittelhandel ebenfalls spürbares Wachstum im E-Commerce erhält. Das ist auf die Pandemie zurück zu führen, wie auch ein Teil des gesamten Wachstums des E-Commerce mit rund 20%. 

Hier gehts direkt zum Radio-Beitrag in Deutschlandfunk Kultur.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/versand-vs-einzelhandel-die-shopping-zukunft-wird-hybrid-dlf-kultur-525bc92f-100.html

Was heißt das jetzt für die Innenstädte?

Für die nächsten Jahre wird uns dieses Phänomen des Online-Wachstums noch beschäftigen. Vor allem, da die Innenstädte durch die Pandemie sehr viel schneller runter fahren. Viele Innenstädte oder Einkaufszentren haben bis zu 70% Umsatz verloren seit Beginn von Covid. Der kommt nicht wieder. Gleichwohl werden zwei Dinge sich zukünftig ändern. Und das ist durchaus positiv – auch für die Innenstädte.

Die Verteilung wird weniger zentral auf einzelne große Player verteilt sein, sondern in eine größere Breite gehen. Dabei kommen zunehmend lokale Anbieter zum Zuge, die aufgrund immer kostengünstigeren Open-Source und System-Software immer schneller und zuverlässiger ihre Shops aufsetzen können.

Auf eine Sicht von 4-10 Jahren noch interessanter finde ich allerdings die kommende Entwicklung in Städten. Dort wird es eine neue Form des Einzelhandels geben. 

Innenstädte wie wir sie heute kennen sind allerdings für immer Geschichte. Hier wird man neue Strukturen entwickeln müssen die den zentralen Bereich einer Stadt wieder attraktiv machen. Das geht nicht ohne Wohnbereiche, Kultur und kleine Geschäfte. Einige Städte wie Mannheim und Kassel haben da durchaus innovative Konzepte. Aber auch Städte wie Köln, Bonn, Berlin, Ravensburg und Kiel setzen hier an. Grundidee sind zwei. Zum einen geht man von den Innenstädten wieder in die einzelnen Stadtviertel. Dort wo früher die kleine Einkaufsstraße war, entsteht sie zunehmend wieder. Mit vielen kleinen Geschäften und günstigen Mieten. Neben dem Einzelhandel kommt hier das Handwerk, mit digitaler Unterstützung, neu zurück. So gibt es inzwischen ein Netzwerk aus über 35.000 Tischlern, die alle über eine digitale Produktionsmaschine verfügen (da sie nur noch ein Zehntel kostet, verglichen mit Preisen von vor sechs Jahren) und beginnen für große Möbelketten die heute oft in Asien lokalisierte Produktion lokal in kleinere Städte zu holen. Dabei können die bisherigen Standardregale sogar leicht individualisiert werden, zum Beispiel in der Breite angepasst. Denselben Trend gibt es auch im Textilbereich, bei Schmuck und sogar im Automobilbau. Im Prinzip kann in einer etwas größeren Garage heute mit ein paar Robotern ein Auto gebaut werden. 

Dieser positive Trend trifft nicht nur Metropolen, sondern zunehmend auch Mittelstädte. Hier ist sogar ein deutlich stärkeres Wachstum zu vermuten in den nächsten Jahren. Für viele dieser Städte heißt das, mit zunehmender Attraktivität und Möglichkeiten sein Leben dort hinsichtlich Arbeit und Lebensqualität neu zu gestalten: mehr Zuzug aus den Metropolen. Hier wird sich der Zuzug ab 2025 spätestens entspannen.

Der Handel wird in dieser neuen Situation ebenfalls lokalere Wertschöpfungsketten ausbilden. Das Ziel ist, dass innerhalb von 15 Minuten von der Haustür, der gesamte Versorgungsbedarf erfüllt werden kann. In eben diesen kleinen Stadtteil-Einkaufsvierteln, vielleicht sogar mit einer wiederbelebten Stadtteil-Hauptstraße. Sollte es Produkte hier nicht geben, entstehen langsam aber sicher lokale Möglichkeiten diese Produkte online im Nachbar-Stadtviertel zu bestellen und liefern zu lassen. Oder, wenn es dort nicht verfügbar ist, in der Nachbarstadt. Die Zeit der großen internationalen Plattformen wird hier eine lokale Konkurrenz bekommen, die eine Mischung aus Erlebnis, Komfort und Lebensqualität bietet. Die in der Summe vor allem das Lebensumfeld aufwertet und die großen Player, wenn sie sich nicht integrieren, doch seht stark herausfordern wird. Zudem kommen ja noch weitere neue Technologien wie Blockchain, Smart-Contracts und nicht zuletzt ab spätestens 2026 ein digitaler Euro. Mit ihm werden neue Möglichkeiten geschaffen lokale Strukturen zu unterstützen und Warenflüssen sowie die Orte an denen Wertschöpfung entsteht, sichtbar zu machen. Im Endeffekt heißt das, dass es die intermediären Plattformen zunehmend weniger braucht, da die persönlichen Algorithmen von Menschen und Produkten sich auch ganz prima ohne diese finden werden.

So wird es also keine Innenstädte mehr geben wie bisher, aber in neuer spannender Form. Dazu mehr dezentrale Einkaufs- und Lebensmöglichkeiten in den Stadtteilen. Die Stadt wird zukünftig nicht mehr das Funktionieren industrieller Prozesse, sondern die Lebensqualität der Menschen im Fokus haben. Ein Trend der weltweit, vor allem in Europa zu beobachten ist. 

Idealer Weise werden sich Gesetze, die derzeit sehr zugunsten zentraler industrieller Systeme gefasst sind, zukünftig mehr und mehr auf die neuen dezentralen Strukturen und digitale (Klein-)Unternehmen ausrichten. Damit entsteht weltweit in Städten eine neue Lebens- und Wirtschaftsqualität und der E-Commerce wird nicht länger als Vernichter der Innenstädte gesehen, sondern sich lebendig integrieren.